Dieser Text ist zuerst als ein Beitrag für Kajas Pride Month Special erschienen, bei dem einige queere Menschen über verschiedene Themen — von der Repräsentation Asexueller über Unproduktivität bis hin zu Self-care — geschrieben haben. Alle Texte sind dort auf Deutsch und auf Englisch verfügbar. Ich möchte euch das Pride Month Special sehr ans Herz legen – wie generell Kajas Blog: Hier reflektiert sie beispielsweise über ihre Schulzeit an einer Waldorfschule und hier vergleicht sie den problematischen Klassiker „Lolita“ mit einer feministischen Neufassung der Geschichte.
Ich wollte den Text für den Newsletter eigentlich noch erweitern — habe dann aber gemerkt, dass das etwas den Rahmen sprengen würde. Hier bekommt ihr also nun erstmal den Text in der Fassung vom 30. Juni …
Der Pride Month geht in wenigen Stunden zu Ende und bald werden Unternehmen wieder ihre bunten Logos durch eine hetero-friendly einfarbige Version ersetzen, als sei nichts gewesen. Während dieses Pinkwashing, mit dem Unternehmen bislang mit wenig Einsatz viel Umsatz generieren konnten, zurecht kritisiert werden darf (wie hier durch das ZDF Magazin Royale), gibt es erste Anzeichen darauf, dass Unternehmen nun wirklich einen Preis dafür zahlen müssen, wenn sie sich für die Rechte von schwulen, lesbischen, bi-, pan-, inter- und a- sexuellen/-romantischen, trans* und weitere queere Menschen (LGBTQIA+) aussprechen. In den USA hat die Biermarke Bud Light hat ein Viertel ihres Umsatzes verloren, nachdem einige Männer-Egos an einer Werbekampagne mit einer trans Frau zerbrochen sind. Der Einzelhändler Target hat eine Pride-Kollektion aus einigen Märkten genommen, nachdem es Bombendrohungen gegeben hat. Und nach Berichten von Gewerkschaften, dass Starbucks Regenbogen-Dekorationen untersagt, hat die Kaffeekette allerlei Mühe, Zweifel an einer “unerschütterlichen Unterstützung” des Unternehmens für die LGBTQ+-Community auszuräumen.
Es ist eine gezielte Kampagne, die sich derzeit entlädt. Wir haben sie in Russland, Polen und Ungarn schon gesehen, aber von besonderer Relevanz ist natürlich die USA, auch weil die dortige Religiöse Rechte in missionarischer Absicht international Gruppierungen finanziert, die beispielsweise in Rumänien, Uganda und Kenia die Menschenrechte von LGBTQIA+ gefährden. Im Zentrum der Kampagne stehen bislang trans Menschen. Auf sie stieß die Amerikanische Rechte, nachdem sie das Recht auf Schwangerschaftsabbruch erfolgreich abgeräumt haben. Gefunden war damit ein neues polarisierendes Thema, mit dem Menschen erreicht werden konnten, die sonst mit Nazis womöglich keine gemeinsame Sache gemacht hätten.
Ein Beispiel dafür ist Harry-Potter-Autorin Joanne Rowling. Sie lobte etwa den theokratischen Faschisten Matt Walsh öffentlich für ein Video gegen trans Frauen – und verhalf ihm damit wie kaum jemand anderes zu einer enormen Reichweite. Mehr zu Rowlings Bigotterie gegenüber trans Menschen findet ihr hier und hier. Bezeichnend ist, dass sie unter dem Pseudonym Robert Galbraith – benannt nach einem Psychiater, der mit Foltertherapien Schwule “heilen” wollte – einen Roman über einen Mörder in Frauenkleidern schrieb, der wie ein schlechtes Plagiat von Geschichten aus der Ära der queerfeindlichen Zensurrichtlinie “Hays Code” wirkt.
Walsh ist die treibende Kraft hinter den Aktionen gegen die oben genannten Marken, die sich für LGBTQIA+ positioniert hatten. Er selbst beschrieb die Kampagne so: “Sucht euch ein Opfer aus, verbündet euch und statuiert ein Exempel an ihm. […] Beansprucht einen Schädel und geht dann zum nächsten über. Das Ziel ist es, ‘Pride’ für Marken zu vergiften.”
Ich denke, die martialischen Worte sprechen für sich selbst. Die Aktionen des Mobs werden nicht nach den Unternehmen Halt machen – und tun es auch bislang nicht, wie die ansteigende Gewalt gegen trans Menschen und die Messerattacke auf einen Gender-Studies- Kurs vom Mittwoch zeigen. Die transfeindliche ehemalige Economist-Chefredakteurin Helen Joyce etwa hatte 2022 gesagt, “every one of those people is a huge problem to a sane world” und als Ziel ausgegeben, die Zahl der Menschen, die eine Transition durchführen, zu reduzieren.
Angesichts dessen, dass Floridas Gouverneur und Präsidentschaftsbewerber Ron DeSantis queere Kinder von ihren Eltern trennen lässt, scheinen die Angriffe auf pinkgewaschene Unternehmen, von denen ich zu Beginn schrieb, eher unwichtig. Doch sie zeigen, wie die Neue Rechte zunehmend Gleichstellungsbestrebungen mit ihren Aktionen plattwalzt. Dazu gehört auch die Strategie, bestimmte Wörter zum Sinnbild allen Übels zu machen. Ausgegeben hat sie der rechtsextreme Aktivist Christopher Rufo, zunächst für „Critical Race Theory”.
“The goal is to have the public read something crazy in the newspaper and immediately think ‘critical race theory’. We have decodified the term and will recodify it to annex the entire range of cultural constructions that are unpopular with Americans.” – Rufo
Es spielte also keine Rolle, was Critical Race Theory ist. Ziel der Kampagne war, dass schlichtweg alles unpopuläre als Teil von Critical Race Theory gesehen wurde. Mit Erfolg: Ron De Santis ließ in Florida Critical Race Theory mit einem “Stop WOKE Act” an Schulen verbieten. Dabei spielte es keine Rolle, dass diese rechtswissenschaftlichen Theorieansätze normalerweise nur an Unis gelehrt werden. Denn in der Praxis führte das Verbot dazu, dass für jede Form von Unterricht über Kolonialismus und Rassismus rechtliche Risiken bestehen. Und kaum war Rufo mit dem Thema fertig, lobte er “Gender” als neues Zauberwort aus und erntete Unterstützung von Rowling.
Ron DeSantis macht daraus dann konkrete Politik: Er verbietet es Schulen, über Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit zu reden (was dazu führt, dass selbst Michelangelos David wegen “Pornographie” aus dem Kunstunterricht fliegt); er verbietet Drag-Auftritte, Trans-Gesundheitsversorgung, Inklusionsprogramme und die Benutzung öffentlicher Toiletten, für alle, die nicht wie ein wandelndes Geschlechterstereotyp aussehen.
Besucht wurde DeSantis zuletzt von Andreas Scheuer und Dorothee Bär, beide CSU. Er teile die Analysen von DeSantis, sagte Scheuer im Anschluss. DeSantis mache Politik “für die normalen Menschen”. Wer nicht als “normal” gilt, machte Bär kurze Zeit später deutlich, als sie im Bundestag vor “Partikularinteressen der queeren Ränder” warnte. So funktioniert Ausgrenzung. Angesichts einer Drag-Kinderbuchlesung sprach CSU-Generalsekretär Martin Huber von „woker Frühsexualisierung“, Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger von Pädophilie. Homosexuelle Eltern stellt Aiwanger als Bedrohung dar und insinuiert: “Die Normalen müssen zusammenstehen.”
Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis CSU und Freie Wähler mit dem Slogan “Deutschland, aber normal” für sich werben, den zuletzt die AfD plakatierte.
“Gender” und “woke” sind mittlerweile auch hierzulande zu dem geworden, was Rufo mit “Critical Race Theory” gelungen war: Sammelbegriffe, die für den Großteil der Menschen für einfach alles “abwegige” stehen und die genutzt werden können, um Menschen unter dem Banner des “gesunden Menschenverstands” ihre grundlegendsten Rechte zu rauben. Brachte Monika Gruber vor einigen Jahren noch die Leute mit Alltagsbeobachtungen aus der Metzgerei zum Lachen, reicht es heute, wenn sie “gender” oder “woke” auch nur erwähnt, und das Publikum grölt. Queere Menschen hören, wer in ihrem Umfeld mitlacht. Und am Ende werden wir uns nicht an die Worte unserer Gegner erinnern, sondern an das Verhalten unserer Freunde.
danke für das Shoutout und deinen tollen Beitrag dieses Jahr! 🥺♥️